Gestern noch - ja, das ist gerade mal 24 Stunden her – haben wir Wasser aus dem See getrunken und man sah und hörte weder Autos noch andere Menschen. Da hatten wir nur den See ringsum, mit seinen tausend kleinen und größeren Inseln, Buchten, Küstenlinie, Weite, Birken und Kiefern, Pilze und Blaubeeren.
Tatsächlich gibt es an unserem ersten Rastplatz in Hästön nichts außer der Schutzhütte, dem Grillplatz mit drei Balken drumherum und ein Stück abseits zwischen den Bäumen das Häuschen mit dem Herz in der Tür. Das Wasser des Sees ist kühl, aber zum Baden nicht zu kalt, und die spätsommerlich warme Abendluft lädt dazu ein, es mit dem Schwimmen mal zu probieren. Bald liegen die ersten Handtücher und Badeanzüge zum Trocknen auf den Steinen. Einige sind im Wald unterwegs, hier soll es Pilze geben.
Vier Stunden und drei Flaschen Bier weiter ist das Häuschen mit dem Donnerbalken kaum noch im Wald zu sehen. sie haben tatsächlich Pilze gefunden, die fantastisch schmecken, und danach sitzen wir stundenlang am prasselnden Feuer, atmen immer wieder den Rauch, spüren die Hitze von vorne, die Abendkühle von hinten. Der erste Abend hat verblüffend gut geklappt, - alle haben mit angepackt, Tonnen getragen, Zelte aufgebaut, gekocht, gespült – wenn man bedenkt, wie zufällig zusammengewürfelt wir sind.Die Fahrt nach Trollön am Sonntag ist nur kurz und sehr entspannt. Einige haben die Plätze im Boot getauscht, jetzt fahren alle ungefähr gleiches Tempo. Der neue Rastplatz liegt auf einer Anhöhe, eine Herausforderung für alle blaue-Tonnen-Träger. Die Fässer mit den Lebensmitteln für die ganze Woche haben zum Teil ein stattliches Gewicht.
Wie es sich für Sonntag gehört, gibt s noch einen Ausflug ohne Gepäck. Später liegen wir Boot an Boot im Verband, lassen uns vom Wind ans Ufer treiben, probieren unser Tempo aus.
Dann steht noch die Kenterübung auf dem Programm. Da wir uns mit dem „Erfahrene Paddler-Image“ umgeben haben, kommen Moritz und ich aus der Nummer nicht mehr raus. Wie wir nach kurzem Schaukeln merken, sind die gutmütigen Canadier wirklich kaum zum Kentern zu bringen. Kurz entschlossen lassen wir uns einfach ins Wasser kippen. Die Bergung „Boot über Boot“ wird gespannt vom Land aus verfolgt, ebenso wie unser Klimmzug über die Bordwand. Die anderen haben sich wohl auch gut amüsiert. Na denn.
Am dritten Tag führt die Route zwischen Festland und Inseln hindurch. Stellenweise ist es so schmal wie in einem Kanal. Auf einem der Inselchen suchen wir Pilze in zwei Gruppen, durch dichtes Dickicht geht es bergauf-bergab. Bevor wir heute endgültig unseren Rastplatz erreichen, ist noch ein Landgang geplant – zu einem alten Autofriedhof mitten im Wald. Der Autofriedhof ist wirklich spannend, finde ich, nicht weil da ein paar hundert Oldtimer im Wald stehen. Aber dieses eigenartige Gemenge von Technik und Natur, rostige Karosserien, zwischen denen Bäume hindurch wachsen, langsamer Verfall von Metall und Lack, Kunststoff und Glas – das ist wie eine große Kunstinstallation.
Abends campen wir in Bastnäs einer kleinen Bucht, wieder dieselbe bescheidene Ausstattung, aber diesmal ein morastiges Ufer. Ob es heute Nacht mit den Mücken losgeht? Überflüssig zu erwähnen: Es gibt wieder Pilze, aber mit dem Unterschied, dass diese hier besonders detailliert fotografiert worden sind, wie man später daheim feststellen kann. Irgendwann kommt es mir so vor, als wären wir schon seit Wochen zusammen unterwegs.
Von der Weite des Foxen-Sees hatten wir schon am Vortag einen Eindruck bekommen, als uns der Wind immer wieder vom Kurs weg trieb. Heute – am vierten Tag der Reise - fahren wir mitten über die große Wasserfläche. Drüben auf der anderen Seite, „da liegt mein Lieblings-Camp“, sagt Marc, unser Scout. Wir richten uns unweit der grandiosen Klippe ein, 12 – oder sind es sogar 15? - Meter über dem Wasser. Jedenfalls werden Guido und der Scout am nächsten Tag da runterspringen, und seitdem ist mein Respekt vor den beiden ein ganzes Stück gewachsen.
Am Abend sitzen wir auf einer Klippe, die nach Westen zeigt, einträchtig, mit Schokolade und Wein, es ist nur ein Schluck für jeden, aber was machts, hier Wein zu haben ist das Erlebnis. Der Sonnenuntergang wird ausführlich dokumentiert und wirkt – wie wir auf unserer Foto-DVD sehen können – umso schöner, je mehr Objekte im Vorgrund stehen.
Anderntags ist „Ruhetag“, Ruhe jedenfalls vom Paddeln. Wir nutzen die Zeit für eine kleine Wanderung zu einem Hochplateau auf dem benachbarten Festland. Es ist eine einsame, heideähnliche Landschaft, zum ersten Mal sehen wir in großem Stil Blaubeeren. Die müssen natürlich mit.
Am sechsten Tag paddeln wir in eine schmale Bucht, an deren Ende eine Straße liegt. Hier müssen wir umtragen, um Zeit zu sparen die vollen Boote. Das geht mächtig in die Arme, die Teile sind bleischwer. Zur Belohnung gibt es hinterher eine Pause auf dem See mit Müsli-Riegeln. Nach einer längeren Fahrt durch den Flöte-Fjord finden wir unseren Rastplatz wieder auf einer Anhöhe. Bier und Wein sind alle, der Kaffee geht auch zur Neige und als in der Ferne Boote auf dem Fjord auftauchen, fantasieren wir von Seepiraten-Überfall und Zwangstausch: Nudeln gegen Kaffee. Oder Gurken gegen Wein. Es sind wohl schwedische Schüler, viele paddeln grottenschlecht – im Vergleich zu uns, versteht sich.Am Strand wird derweil Brot gebacken, es sind eigentlich eher süße Brötchen. So ganz überzeugend ist das Ergebnis nicht, der kleine, aus Sand und Steinen selbst gebaute Ofen hätte wohl mehr Zeit gebraucht, um ganz durchzuwärmen und die Restfeuchte des Sandes auszuschwitzen. Jedenfalls schmecken die Brötchen zwar ganz gut, ein Teil ist aber so hart, dass sie als Wurfgeschosse taugen. Umso besser munden die Blaubeerpfannkuchen aus der Spezialpfanne.
Am vorletzten Tag unserer Reise – ist morgen wirklich schon Samstag? - erreichen wir schon gegen Mittag die Insel Skomsnäs. Weil die meisten Lust haben, noch ein paar Kilometer mehr zu paddeln, fahren wir am Nachmittag erneut los. Etwa eineinhalb Kilometer südlich von unserem Camp, auf einem namenlosen Felsinselchen, entdecken wir eine Steinfigur. Nicht so eins der vielen Steinmännchen, die man oft in Schweden und anderswo sieht, sondern eine richtige Skulptur.
Irgendjemand hat die Idee, eine zweite daneben zu setzen und schon machen wir uns an die Arbeit. Unser Bauwerk ist anspruchsvoll, es wird eine Frau, die die steinernen Arme nach beiden Seiten ausstreckt. In einer knappen Viertelstunde steht unsere Skulptur, mit nur drei größeren Korrekturen ist sie fast auf Anhieb geglückt.Andächtig bestaunen wir unsere Skulptur und schauen ihr noch hinterher, als wir bereits abgelegt haben. Ich finde, dass wir gerade einen bleibenden Wert geschaffen haben.
Die Rückfahrt wird kurzweilig, weil Sandra und ich zusammen mit Moritz und Alex ausprobieren, die beiden Boote nebeneinander zusammengedrückt wie einen Katamaran zu fahren, indem wir nur außen paddeln. Das klappt über die gesamte Strecke, sogar Kurvenlenken ist möglich. Bei der Ankunft an unserem kleinen, steinernen Anleger werden wir gleich fotografiert.
Und dann das Essen: Conny und Guido, die „daheim“ geblieben sind, haben auf gut Glück die „Terence-Hill-Pfanne“ ausprobiert. Von der war schon im Scandtrack-Prospekt die Rede - wenn man nämlich nur noch Konserven, Speck und Hartwurst hat, dann ..... Schmeckt klasse, aber liegt schwer im Magen. Am Abend schauen wir wieder - und heute zum letzten Mal – vom Felsen aus den Sonnenuntergang.
Am Samstagmorgen brechen wir früher auf als gewohnt, heute geht es ja zum Camp zurück. In Höglund, wo sich die kleine Scandtrack-Stadt mittlerweile schon auf Winterpause und Abreise vorbereitet, liefern wir unsere Ausrüstung wieder ab und duschen in einer rustikalen Dreierkabine, in der alle drei Duschen unterschiedlich warmes Wasser abgeben. Zwischen den anderen Gruppen, die auch auf die Heimfahrt warten, verfliegt das Wir-Gefühl der vergangenen Tage ein wenig. Im Bus ergattern wir uns zwei zusammen hängende Sitzreihen. Die Rückfahrt in den Alltag kann beginnen.

Geschrieben im Oktober 2006, Michael S.