Vom Großstadtdschungel in die Wildnis

Die Hauptstadt nervt, der Job auch. Urlaub muss her!
5-Sterne-All-Inclusive mit all den anderen, die dem gleichen Alltag entfliehen wollen? - Um Himmels Willen! Am besten fernab von den ganzen Cluburlaubern. Vielleicht auch mal was ohne Smartphone. „Brauchen wir ein Hotel?“ - „Klar, so'n kleines mit nem Fliegengitter vor der Tür.“ - „Klimaanlage?“ - „Ja, so Wasserkühlung wäre super.“ - „Ich google mal.“
„Hier ist was, Kanutour auf eigene Faust in Schweden. Preis ist okay. Verpflegung inklusive.“ - „Gut, buch mal!“
Ungefähr so sind wir zu unserer Scandtrack-Reise gekommen. Man muss dazu sagen, so unkompliziert können wir uns eher selten entscheiden. Ob wir den Haken übersehen haben und das böse Erwachen noch kommt werden wir bald wissen.
Also Rucksack gepackt und ab zum Bus. So eine Abenteuerreise muss ja auch abenteuerlich anfangen. 14 Stunden später geht’s dann raus in die Wildnis.
Tourtag 1
Proviant und Ausrüstung geschnappt und ab ins Kanu. Der Wind will uns schon mal richtig auf die Reise einstimmen und so landen wir knapp fünf Kilometer später auf einer kleinen, nicht ganz einsamen Insel. Die Nachbarn verteilen sich schnell und schon kommt das Gefühl auf, ganz alleine auf diesem Fleckchen zu sein. Zelt aufgestellt, Lagerfeuer angezündet und nur eine einzige Frage: Was gibt’s zu Essen? Die Antwort ist, aufgrund mangelnder Geduld und wachsendem Hunger, halbrohe Bratkartoffeln. Trotzdem lecker.
Tourtag 2
Nach einem entspannten Frühstück zieht es uns am nächsten Morgen wieder raus auf's Wasser. Also alles schnell eingepackt und gut verstaut. Das Wetter ist gnädig mit uns und wir genießen die Landschaft bei schönstem Sonnenschein. Nach etwa 15 Kilometern holt der Wind wieder aus und wir beginnen mit der Suche nach einem Rastplatz. Ziemlich erschöpft finden wir ein Plätzchen, an dem man gut anlegen kann und es gibt sogar eine windgeschützte Feuerstelle. Trotzdem können wir uns irgendwie nicht dazu durchringen an diesem Ort zu bleiben. Irgendetwas bereitet uns Unbehagen und wir mobilisieren die letzten Kräfte, um die Suche fortzusetzen. Der Aufwand lohnt sich und wir finden eine wunderschöne Stelle auf einem dünnen Landstrich zwischen Wasser und Wasser. Es gibt Pizza und Suppe zum Abendessen und am nächsten Morgen sogar einen Blumenstrauß vom Waldgeist. Zugegeben, etwas gruselig, aber irgendwie auch ganz nett. Wir bedanken uns bei unserem unsichtbaren Verehrer und setzen unsere Reise in Richtung Norwegen fort. Das schöne Wetter treibt uns von Bucht zu Bucht und wir nutzen es für ein paar kurze Landgänge. Unsere Entdeckerlust lässt uns ein verlassenes Boot zwischen Felsen und Wald finden und später sogar eine Flaschenpost. Als wir aus der Ferne erkennen, dass der norwegische Rastplatz hoffnungslos überfüllt ist, suchen wir uns ein kleines Lager am Rand, mit Blick auf Norwegen. Am Lagerfeuer bereiten wir uns die im Kochbuch angepriesene Terence-Hill-Pfanne, oder wie ich dazu sagen würde: Bohnen mit Bohnen.
Tourtag 3
Der neue Tag beginnt mit Regen und viel Wind. Um in Gang zu kommen, gibt es einen Kaffee mit diesem unverkennbaren Raucharoma. Bis die meteorologische Besserung eintritt, wird gelesen und gefrühstückt. Die Wettergeister beruhigen sich schließlich, pusten nur noch, aber weinen nicht mehr und so starten wir wieder mit feinstem Sonnenschein. Nach ein paar Stunden entspannter Durchquerung einer atemberaubenden Landschaft rasten wir auf einer kleinen Insel. Wir überlegen, dort zu bleiben, weil der Wind uns mächtig fordert. Leider stellen wir fest, dass dieser Platz, mangels Windschutz ungeeignet ist, um ein Lager aufzuschlagen. Zum Glück, wie sich später noch herausstellt. Wir kämpfen also weiter gegen den Wind. Ganz nach Handbuch fahren wir brav in Ufernähe. Und da taucht sie plötzlich auf! Die traumhafteste Bucht, die wir auf dieser Reise sehen werden. Der optimale Lagerplatz. Windgeschützt durch steile Klippen und Bäume, genügend Sonne und ein wundervoller Kiesstrand. Hier müssen wir bleiben!
Was hierbei nicht ganz in unseren Plan passt ist ein Pärchen, vermutlich beim Paarungsakt, welches das Territorium für sich beansprucht. Enttäuscht fahren wir weiter, können aber nicht mit dem Gedanken leben, diesen Traumstrand kampflos aufzugeben. Da die beiden Turteltäubchen nicht so aussehen, als würden sie die ganze Nacht dort verbringen, gewähren wir ihnen Abstand und Zeit, um das Feld zu räumen. Unsere List geht auf und wir beziehen unser neues Lager. Das ist der Ort auf den wir gewartet haben. Ein traumhafter Strand, eingerahmt von Felsen auf der einen Seite und Bäumen auf der anderen. Das ist der Ort, an dem wir unsere eisern aufgesparte Flasche Wein trinken und uns vollständig in der Schönheit der Natur verlieren. Das Leben ist leicht und der ganze Stress weht mit dem Wind davon. Wir fühlen uns frei und vollkommen entspannt. Von den Felsen können wir den ganzen See überblicken und hinter den Felsen kann uns niemand sehen.
Nudeln, Wein und mit Schokolade gefülltes Stockbrot runden einen unfassbar schönen Tag, der mit einem riesigen Vollmond zu Ende geht, perfekt ab.
Tourtag 4
Nach dem Aufwachen überlegen wir lange, ob wir diesen vollkommenen Platz wirklich verlassen sollen. Wir wissen zwar, dass man immer nur für eine Nacht lagern darf, aber die Versuchung ist groß. Gegen Mittag beschließen wir doch loszufahren. Schweren Herzens verlassen wir unser Idyll und stellen bereits nach ein paar hundert Metern fest, dass das keine so tolle Idee war. Der Wind ist schlecht gelaunt und nervt unsere ohnehin wehmütigen Seelen. Nach etwa zehn Kilometern erreichen wir eine Insel, die als Lagerplatz geeignet wäre. Nicht ganz zufrieden werfen wir einen Blick auf die Karte und steuern einen der offiziellen Rastplätze an, der ganz in der Nähe liegt. Leider gibt es auf diesem kein einziges windgeschütztes Fleckchen und wir fahren zurück zur Insel. Das Wetter schlägt um und wir beeilen uns unser Lager aufzubauen. Die Stimmung ist etwas getrübt, da dieser Platz nicht annähernd an die Lagune von gestern herankommt. Da wir kein richtiges Feuer anzünden können, bauen wir eine provisorische Hütte und kochen gehockt Reis mit Pilzen. Ein fantastisch farbenfroher Sonnenuntergang rettet schließlich den Tag und wir fallen erschöpft in unsere Schlafsäcke.
Tourtag 5
Der neue Tag steht unter dem Motto: den Elementen trotzen.
Unser guter Freund der Wind hat über Nacht ordentlich Kraft getankt. Da wir uns aber inzwischen weit weg vom Basiscamp befinden, müssen wir weiterfahren, um pünktlich zurück zu sein. Wir steigen zögernd und etwas besorgt ins Boot und merken Sekunden darauf, dass das ein harter Tag wird. Wir wanken an Felswänden vorbei und werden von den Wellen durchgeschüttelt wie im Schleudergang einer Waschmaschine. Wir müssen mit voller Kraft paddeln und kommen selbst damit nicht immer von der Stelle. Nach unglaublichen 20 Kilometern und am Ende unserer Kräfte erreichen wir eine Insel, an der man gut anlegen kann. Wir sind in Norwegen, aber das Wetter in Schweden hat uns deutlich besser gefallen. Wir bauen unser Zelt auf, improvisieren einen Windschutz und versuchen Suppe zu kochen. Schließlich müssen wir die Kocherei ins Vorzelt verlegen und nach einer gefühlten Ewigkeit gibt es Linsensuppe im Zelt. Nichts kann uns mehr raustreiben, denn es ist nass und kalt und so schlafen wir ziemlich bald ein.
Tourtag 6
Als wir wieder aufwachen lauschen wir nervös nach draußen. Keiner traut sich so richtig der Realität ins Auge zu blicken. Wir haben Angst vor einem Tag wie gestern. Glücklicherweise sind unsere Befürchtungen unbegründet. Bei ruhiger See machen wir uns auf in Richtung Basiscamp. Inspiriert von der Flaschenpost, die wir unterwegs gefunden haben, versenken wir selber eine. Das heutige (im übrigen auch das einzige) Ziel auf unserer To-See-Liste ist der Autofriedhof in Bastnäs. Wir gehen also in dem kleinen Örtchen an Land und finden...nichts! Leider schneidet uns das Wetter die Zeit zum suchen ab und aufkommender Regen zwingt uns schnell einen Lagerplatz zu suchen. Wie so oft im Leben schaffen wir es nicht rechtzeitig und werden mitten auf dem See vom Regen in Empfang genommen. Der Versuch auf zwei Inseln einen geeigneten Platz zu finden scheitert und wir fahren zurück ans Ufer. Klatschnass finden wir einen netten Platz, etwas im Wald versteckt. Vorherige Besucher haben Feuerholz dagelassen und eine Bank aus Baumstämmen und Panzertape zusammen gezimmert. Wir schlagen fix unser Zelt auf und zünden das Feuer an. Unser letztes kulinarisches Vorhaben ist Jägerbraten mit Kartoffeln. Der Regen versucht uns zwar davon abzuhalten, aber es klappt dennoch. Nachdem es sich endgültig einregnet, verziehen wir uns zum Essen ins Zelt und trauen uns auch nicht mehr heraus.
Tourtag 7
Nach einer nasskalten Nacht brechen wir auf zur letzten Tour. Obwohl das Wetter schlecht und der Gedanke an eine heiße Dusche sehr verlockend ist, sind wir etwas niedergeschlagen. In den Tag hinein zu leben und sich nur um Wetter und Essen zu sorgen hat etwas unglaublich Beruhigendes. Man vergisst den Alltag, den Job, den Haushalt. Es gibt kein blödes Telefon, keine nervigen Kollegen und kein Gedränge in der Bahn. Einfach nur von A nach B, ohne zu wissen wo B eigentlich ist. An diesem Tag ist B allerdings ein klares Ziel. Auf dem Weg ins Basiscamp kommen uns schon die Neuankömmlinge entgegen. Ihre ersten Steuerversuche bringen uns zum Schmunzeln. „Am Ende der Woche könnt ihr das!“
So endet unsere Reise in die Wildnis und es war mit Sicherheit nicht die letzte.
Den Haken haben wir übrigens bis zum Schluss nicht gefunden und gehen jetzt einfach davon aus, dass es keinen gibt.

Geschrieben im September 2016, Célina D.

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