Irgendwo im Nirgendwo, zwischen Paddel und Kanu

Es ist Freitag. Nervosität und Neugierde fließt durch unsere Adern. Bewaffnet mit Einwegkameras, zwei Flaschen Wein und einem Gesellschaftsspiel stehen wir am ZOB. Wo bleibt der Bus? Halbe Stunde Verspätung. Okay! Wir sitzen. Ein wenig ungemütlich. Wir sind übrigens Schwestern und haben von unseren Eltern, im Bezug auf diesen Bus, definitiv zu lange Beine geerbt.
Der Busfahrer stellt sich vor und los gehts.
Erster Stopp in Hamburg: Menschen steigen dazu. Und zack - der Bus ist voll. Nächster Stopp in Puttgarden oder so: 1. Fähre. Alle müssen raus. Ist ganz schön kalt hier. Und noch ein Stopp irgendwo zwischen Dänemark und Schweden: 2.Fähre. Wir dürfen sitzen bleiben, aber die Beine brauchen Auslauf und lassen uns nicht weiterschlafen. Irgendwann zwischendrin gabs auch noch einen Film von einem Mann in einer roten Jacke, der an einem umgefallenen Baum lehnt und uns viel Spaß wünscht. Sehr sympathisch.
Es ist morgens. Halb acht, Frühstückspause bei McDonalds. 15 Minuten. Kurz mit gebrochenem Englisch einen Kaffee holen und schon geht’s weiter. Ob man das Pause nennen darf? Wir nähern uns Lennartsfors. Die Menschen in Schweden müssen, den kurvigen Straßen nach zu urteilen, übrigens echt gute Achterbahnfahrer sein. Alle im Bus sehen einen Elch am Straßenrand, nur wir nicht. Traurig.
Wir sind da. Ein bärtiger blonder Mann kommt in den Bus, und sagt irgendwas von Essen und zwei roten Zelten. Schlafmangel und kribbelnde Beine mindern eindeutig die Konzentration. Wir müssen warten. Ganz schön lange. Aber es gibt Essen. Ein paar Leute laufen einfach los. Wo gehen sie hin? Dürfen wir das auch? Ja, wir dürfen. Auf geht’s über Stock und Stein Richtung Zelt, Kanu und Co. Gut, dass wir keine Koffer mitgenommen haben, die wären auf diesem kleine Wanderweg ganz schön unpraktisch gewesen. Wieder warten. Zusammen mit einem netten Lächeln der Mitarbeiter bekommen wir Proviant, Ausrüstung und alles was wir brauchen. Dürfen wir schon zu den Kanus? Wir folgen anderen Abenteuerlustigen zum Steg. Wann kriegen wir unser Kanu? Zu viel Trubel, wir warten und lauschen einer mit Ironie und Sarkasmus geprägten Paddeleinweisung. Sehr amüsant. Als eines der letzten Kanus verlassen wir das Hauptcamp. Auf ins große Abenteuer.
Der Foxen. Ganz schön großer See. Größer als erwartet. Der Wind pustet uns mit aller Kraft ins Gesicht. Natürlich fahren wir gegen die Strömung, ziemlich anstrengend. Wir landen auf einer Insel. Es sind schon andere Menschen da. Wir finden trotzdem eine Lagerstelle nur für uns. Kleiner Haken. Diese ist genau auf der anderen Seite der Insel. Wir haben die Wahl zwischen weiter gegen die Strömung paddeln oder unseren Kram tragen. Letzteres hat gewonnen. Tollpatschig wie wir sind, wurden wir dabei allerdings bis zum Bauch nass. Danke an den Wind, der so schnell unsere Klamotten trocken geföhnt hat. Wir bauen das Zelt auf und der Sprituskocher wird ausprobiert. Es gibt Kartoffeln. Und ein Becherchen Wein. Lecker! Wir schauen der Sonne entgegen. Sie sagt Gute Nacht und wir auch.

Nächster Morgen. Besser geschlafen als gedacht. Nach ausreichender Nahrungsaufnahme und Körperhygiene geht’s mit Sack und Pack weiter. Die Sonne scheint. Schön! Kleine Mittagspause mit Badespaß inklusive. Sauber und satt geht’s wieder ins Kanu.
Wir sind übrigens immer noch auf dem Foxen. Und ja, der Wind hat immer noch nicht aufgegeben. Und ja, wir paddeln schon wieder gegen die Strömung. Aber wir finden einen sehr schönen Lagerplatz. Ziemlich hoch gelegen. Wir müssen unseren Kram zwar weit tragen, aber der Ausblick ist es wert. Möwen unterbrechen lautstark die sonst sehr ruhige und entspannte Geräuschkulisse: “Meins, Meins..“. Kleiner Spaß, wir sind hier ja nicht bei Findet Nemo. Wir machen unser erstes Feuer. Es gibt Stockbrot. Komischerweise hängt trotzdem der Geruch von geräuchertem Schinken an uns.

Der morgendliche Schrei der Möwen weckt uns. Aufstehen. Uns ist es langsam zu windig auf dem Foxen. Wir versuchen es mal mit dem kleinen Fluss im Nordosten. Hier ist es nicht ganz so stürmisch. Trotzdem etwas Rückenwind. Wir lassen uns treiben. Links und rechts gibt es viel zu entdecken. Bäume, Steine und zwischendurch mal einen Ameisenhaufen. Aber keinen Elch. Wir landen wieder auf einer Insel. Wieder zieht uns ein rauer Wind um die Ohren. Wir spannen eine Plane als Windfang. Sieht nicht schön aus, aber hält. Wir haben zum ersten Mal eine richtige Feuerstelle, mit Bänken, Feuerholz und ein Klo gibt’s hier auch.
Wir sägen das Holz gemeinsam. Es funktioniert schon echt gut, braucht bei unseren doch eher untrainierten Oberarmen, noch so seine Zeit.
Und dann kam auch noch das Hacken. Unsere Hände werden sich beim Paddeln morgen nochmal herzlichst für die Blasen bedanken. Es gibt Pizza. Und Wein. Heute sind es Enten, die uns süße Träume und eine gute Nacht wünschen.

Die Sonne ist schon aufgegangen. Am anderen Ufer schwimmt ein Kanu im Gestrüpp. Das war gestern noch nicht da. Tja, da haben die Jungs vom Camp nebenan ihre Kanus anscheinend nicht richtig festgebunden. Schon etwas lustig. Zum Glück haben sie insgesamt drei. Sie holen sich den Ausreißer zurück.
Unsere Fahrt geht weiter. Wir paddeln gemütlich vor uns hin. Kurze Mittag-Bade-Pause. Es geht weiter. Immer am Ufer entlang. Vielleicht sehen wir ja doch noch einen Elch. Heute sind es aber wieder nur Ameisenhaufen. Wir finden einen wunderschönen Lagerplatz. Feuerholz, Bänke, Toilette und große Felsen am Ufer, perfekt zum Sonne genießen. Alles, was das Herz begehrt. Irgendwo hören wir uns unbekannte Tiere schreien oder ist es doch das Rufen eines Elches? Na hoffentlich. Es gibt wieder Wein zum Einschlafen. Der Uhu über unserem Zelt ist allerdings nicht einverstanden mit unserem Wunsch nach Schlaf, und unterbricht unsere Träume mitten in der Nacht mit einem kostenlosen Konzert.

Halbzeit. Wir entscheiden uns die gleiche Strecke zurück zufahren. Vorteil, wir kommen fast ohne Karte aus. Wir suchen uns aber andere Lagerplätze, damit es nicht an Abwechslung mangelt. Wir lassen das Lager hinter uns und paddeln weiter. Wieder am Ufer entlang. Wir werden von einem Fischreiher oder so verfolgt. Bestimmt eine ganze Stunde lang. Irgendwann ist er weg. Schade. Wir hätten bestimmt Freunde werden können. Heute gönnen wir uns mal eine Lagerstelle mit Hütte. Es ist sogar noch gehacktes Holz da. Jackpot!! Danke an die lieben Spender. Wir machen einen kleinen Spaziergang den Berg hoch. Wären die Bäume hier nicht so hoch, hätte man garantiert den besten Ausblick der Welt.
Es ist zum ersten Mal keine einzige Windböe zu spüren. Das Wasser lädt mit seiner spiegelglatten Oberfläche zum Baden ein. Eine Runde Schwimmen ist noch drin. So dunkel ist es noch nicht. Wir sehen eine Ente auf dem Wasser. Vielleicht war es doch eher ein Eistaucher. Denn nach längerem Flügelschlagen, tauchte sie unter und verschwand. Für immer. Naja zumindest für die nächsten paar Minuten. Wir haben Sie auf jeden Fall nie wieder gesehen. Es wird dunkel. Wir sitzen in der Hütte, spielen das Gesellschaftsspiel und trinken Wein. Schon wieder.

Das Zelt trocknet nach einem nächtlichen Regenschauer an der Wäscheleine, während wir frühstücken. Wir sind schon ziemlich nah wieder am Hauptcamp, also können wir ganz entspannt fahren. Wir sind kurz vorm Foxen. Ohne Karte hätte man es definitiv auch am Gegenwind gespürt. Und dazu kommt da noch eine ziemlich dunkle Wolke auf uns zu. Wir legen eine kurze Pause ein. Nach zwei Minuten an Land fing es auch schon an zu regnen. Zwischen Sack und Pack unter der Plane, mit einem Keks in der einen und einem stark gezuckerten Erfrischungsgetränk in der anderen Hand, beobachten wir zwei andere Kanufahrer, die mutig genug waren gegen die Strömung, im Starkregen Richtung Foxen zu fahren. Respekt von uns dafür! Nach zehn Minuten war das feuchtfröhliche Wettergeschehen vorbei und wir führten auch unsere Fahrt fort. Wir landen, tadaa, schon wieder auf einer Insel. Dank des kleinen Regenschauers, war sämtliches Holz feucht. Nach längerem Versuchen, mit bereits gelesenen Buchseiten unserer Abendlektüre das Feuer zum Laufen zu bringen, mussten wir doch wieder auf den gut bewährten Spirituskocher zurückgreifen. Die Wolken verschwanden. Wir betrachteten den Sonnenuntergang, legten unser Feuerholz zum Trocknen in die letzten Sonnenstrahlen und lauschten den Gute-Nacht-Liedern der Enten neben uns.

Heute wurden wir leider nicht von der Sonne geweckt. Es war bewölkt. Wenigstens konnten wir unser Zelt noch trocken einpacken. Endspurt Richtung Camp. Eine letzte Nacht hatten wir noch vor uns. Unterwegs kamen wir wieder durch kleinere Regenschauer. Und überall war Nebel. Andere Kanufahrer sahen irgendwie aus wie kleine Seemonster. Wir kamen an einen Lagerplatz, zwar nicht der schönste, aber besser als nichts. Denn weiter wollte wir nicht mehr fahren. Wir pflückten Blaubeeren, machten ein Kompott daraus, fanden eine stark belaufenene Ameisenstraße und sahen ein kleines Mäuschen. Zum Glück schafften wir am letzten Abend, trotz feuchtem Holz ein Feuer zu machen. Zeit für Hot-Dogs. Die Sonne meldete sich noch einmal kurz zu Wort und verschwand mit einem orangenen Schein hinter den Baumwipfeln.

Letzter Morgen, letztes Frühstück, und letzter löslicher Kaffee mit löslichem Milchpulver. Wir warteten am Ufer und beobachteten andere Kanufahrer, die schon auf dem Weg zum Hauptcamp waren. Entweder hatten sie vergessen, dass wir erst ab 14 Uhr am Steg sein sollen, oder ihre Uhren waren nicht wasserfest. Als es doch immer mehr Kanus wurden, packte uns leichte Nervosität und Unsicherheit, ob wir mit der Zeit nicht falsch liegen und räumten unseren Kram zusammen.
Letzte Fahrt. Auf dem Weg kamen uns schon neue Fahrer entgegen. Einige haben wohl bei der Paddeleinweisung nicht aufgepasst. Dabei hat der Kollege das so schön erklärt mit dem A- und dem F-Bogen. Oder war es doch J und C? Kleiner Spaß. Naja vielleicht sind sie auch einfach gerne in Schlangenlinien übers Wasser gefahren. Wer weiß. Der Steg war schon von weitem deutlich zu erkennen. Ein Fleck aus roten, blauen und silbernen Farben leitete uns den Weg. Wir legten an, machten das Kanu sauber und gaben unsere Ausrüstung ab. Noch einmal schnell unter die Dusche gehüpft. Warten. Lange warten. Aber es gab Kaffee. Richtigen Kaffee. Herrlich. Irgendwann gabs dann auch Essen. Nur wollten natürlich alle essen. Wir haben gewartet bis die Schlange kürzer wurde und uns währenddessen ein Lunchpaket geholt. Danke für die Kekse, die waren super. Eine halbe Stunde bevor unser Bus fuhr, bekamen wir dann auch mal unsere Portion Köttbullar. Aufessen, Teller weg und ab in den Bus. Mein Magen fand die Mahlzeit direkt vor der Fahrt allerdings nicht ganz so cool.
Nach zwei Stunden aus dem Fenster gucken, in der Hoffnung doch noch einen Elch zu sehen, machte der Busfahrer einen Film an. Speed. Perfekter Film für eine Busfahrt.
Nach Fähre 1, Fähre 2, und kurzer Pinkel-Pause zwischendurch, waren wir wieder auf Deutschlands Autobahnen. Und was ist? An jeder Ecke, Waldlichtung und auf jedem Feld steht ein Reh. Dabei wollten wir doch Elche sehen..Unverschämtheit!
Und entweder hatte der Busfahrer magische Füße oder er hat das Beamen erfunden, auf jeden Fall waren wir fast drei Stunden früher als geplant zuhause. Herzlichen Dank. Auch von unseren Beinen, Knien und Vier Buchstaben. Länger hätten wir in dem Bus bestimmt nicht sitzen können.

Wir sagen:

Herzlichen Dank
Für Speis und Trank.
Für Strahlen in den Augen und einem Lächeln im Gesicht.
Für trockene Nächte und aufregende Tage.
Für Entspannung und Abenteuer.
Für Freiheit und Unabhängigkeit.
Für Hilfe und Zuverlässigkeit.
Für Herausforderung und Natur.
Für Eigenständigkeit und Abwechslung.
Für großartige Geschichten und Erfahrungen.
Für schöne Erinnerungen und Sonnenuntergänge.
Für Wildnis und Zivilisation.
Für Abschalten und Genießen.
Danke.


Kyra und Sharina,
zwei Schwestern auf großer Elchsuche!

Geschrieben im Oktober 2016, Kyra M.

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