That´s life – Mit dem Kanu durch Schweden

,Kanutour in Schweden? Ist doch mittlerweile total überlaufen! Außerdem sind da ganz viele Mücken. Das macht doch keinen Spaß! Ach, dass Wetter soll übrigens in den kommenden Wochen eher unbeständig werden. Aber viel Vergnügen!` - Nur Hohn und Spot aus den Großstadtmündern. Doch Tobias und ich, Helena, wir lieben die Natur. Je wilder und einsamer, desto besser. Ist dies im Kanuparadies Schweden noch möglich?

Mit vier Reisebussen aus ganz Deutschland treffen die Reisehungrigen jeden Alters nach vielen Stunden Busfahrt im Basislager Lennartsfors aufeinander. Naturbedürftige Großstädter auf dem Weg in die Einsamkeit und Wildnis. Abenteuerhungrig. Wirklich jedes Klischee wird hier bedient: Die Abenteuerfamilie, das verliebte Pärchen, die Globetrotter im Tarnanzug, Single-Mädels in den 30ern, der bewusste Naturbursche, die Pfadfindergruppe, große Jungs mit viel Bier, der Alleinreisende und ein älteres Rentnerpaar. Für alle ist bei Scandtrack etwas passendes dabei. Ein bunter Haufen, wir alle haben eins gemeinsam: Große Sehnsucht und Neugierde aufs Kanuland Schweden. Hungrig auf unser ganz persönliches Abenteuer in der Natur.
Mich überkommt jedoch der leise Zweifel, ob bei diesem Menschenandrang Einsamkeit am Ende doch zu kurz kommen mag? Wir wollen dem Großstadttrubel Berlins eine Weile entkommen und hier am liebsten ganz allein sein.
Der kleine Geheimtipp heißt ,Glaskogen`- ein Kleinod, ein Paradies für Naturburschen und Liebhaber der Stille, die sich nichts mehr als Ruhe und Natur zum Glücklichsein wünschen. Das Naturreservat gilt als noch einsamer, wilder und unberührter. Warten wir´s ab...
10 Tage Wildnis pur. Ein Zelt, eine Tonne Proviant, ein Kanu und große Erwartungen im Gepäck.

Es ist ein früher, warmer Morgen im Juli. In der Nacht hatte es geregnet. Von dem nackten Felsen steigt leichter Dampf auf, das Moos und die Felsspalten sind getränkt von Nässe, sodass alle Farben intensiv leuchten.
Ich bin schon bis zu den Knien im Wasser. Noch einen kleinen Schritt weiter. Und noch einen. Langsam. Ich bin noch so verschlafen, da kommt mir der See viel kälter vor als an den Tagen zuvor. Plötzlich gibt mir von hinten jemand einen kräftigen Schups und schon bin ich komplett untergetaucht. Als ich meinen erschrockenen Kopf aus dem Wasser stecke, sehe ich Tobias frech lachend am Ufer davon rennen. Na warte Bürschchen. Deine Zeit kommt noch. Doch eigentlich ist das kühle Wasser schon längst nicht mehr so unangenehm. Mit kräftigen Schwimmstößen lasse ich die kleine Schäreninsel im Hintergrund.
Oh was gibt es Schöneres, als eine Nacht auf einer eigenen Insel verbringen zu dürfen? Hier sind nur wir, umgeben von Wasser zu allen Seiten.

So beginnt ein typischer Morgen auf unserer Kanutour: Ein morgendliches Bad im See ist zu meinem Lieblingsritual auf der Reise geworden. Im Anschluss wärmt ein warmer Kaffee. Dazu ein Müsli mit selbstgepflückten Blaubeeren und Himbeeren. So starten wir voll frischer Energie in einen neuen Tag.
Gestärkt beladen wir am Ufer das Kanu mit unserm Hab und Gut und schlüpfen in die roten Schwimmwesten. Tobias sitzt bereits startklar hinten. Ich gebe uns einen kräftigen Stoß und springe nach vorn ins Boot. Die Weiterfahrt über den funkelnden See beginnt.
Sonne und Wolken spiegeln sich auf der Wasseroberfläche. Zu den Ufern des Sees - dem Övre Gla lagern große Steinfelsen vor. Dichter Wald aus Birken und Kiefern umrahmen den See. Soweit das Auge reicht so viel Blau, Grün und nochmals Blau. Rings herum Natur pur. Es riecht nach Wald, nach Fichten, Kiefern und Moos.
Ich halte meinen nackten Fuß für einen Moment ins kühle Wasser. Angenehm ist die Erfrischung. Ein sanfter Wind durchfährt mein Haar. Wir gleiten über den See. Es macht Spaß wie schnell und mühelos wir vorankommen. Sanft taucht mein Paddel vorn ins Wasser hinein, zieht seinen eigenen kleinen Strom nach hinten weg. Und wieder von vorn.

Wir paddeln durch eine wunderschöne Schärenlandschaft. Rechts und links thronen vereinzelt kleine und größere Inseln aus dem See heraus. Hier und dort luken kleine rot-weiße, gelb-weiße und blau-weiße Schwedenhäuser zwischen den Wäldern hervor. Oh welch schöner Anblick, sie aus der Ferne an den Ufern des Sees versteckt zu erblicken. Einige verfügen über einen eigenen Steg, der zum Wasser führt, andere haben eine eigene Terrasse direkt über dem Wasser. Oh ja, hier kann ich mir eine unbeschwerte Kindheit wie in Astrid Lindgrens Büchern sehr gut vorstellen. Die kleinen Kinder hecken Lausegeschichten aus, die etwas älteren ziehen fürs Wochenende mit dem Ruderboot hinaus auf irgendeine kleine, einsame Insel, erleben Lagerfeuerabende und Abenteuer. Der Vater fährt mit seinem Sohnemann in aller Früh hinaus zum Angeln und am Nachmittag werden Zimtschnecken und selbstgemachte Limonade verzehrt...
Die Wellen nehmen an Größe und Stärke zu, je weiter wir auf den See hinaus paddeln. So manche von ihnen schwappt über den Bug ins kleine Boot hinein. Kühles Nass auf meiner Haut. Die Wellen werfen kleine Schaumkronen. Sie werden immer höher. Wir müssen kräftig gegen sie ankämpfen und den geeigneten Winkel zu ihnen finden. Ein körperlich anstrengender Part über mehrere Stunden. Im Spielball der Wellen tanzt unser Boot wie eine kleine Nussschale auf und nieder. Es tut gut, den Körper auszupowern. Nach einer kurzen Kekspause schöpfen wir knuspernd neue Energie.

Wo werden wir an diesem Abend unser Nachtlager aufschlagen?
Am späten Nachmittag begeben wir uns langsam auf die Suche. In der Ferne erspähen wir eine Insel. Wir steuern direkt darauf zu. Beim Näherkommen erscheint sie uns geradezu perfekt für den Inseltraum. Sie misst vielleicht 20 Meter in ihrer Länge und 10 Meter in ihrer Breite. Oh was gibt es Schöneres, als eine weitere Nacht auf einer eigenen Insel verbringen zu dürfen? Hier sind nur wir, umgeben von Wasser zu allen Seiten. Das Nachtlager ist schnell aufgebaut. Sowie das rote Zelt steht, genießen wir die letzten Sonnenstunden bis zur Dämmerung mit Faulenzen, in der Hängematte träumen, angeln, baden, Beeren pflücken und Pilze sammeln.
Ich sitze auf den nackten Felsen am Ufer. Sie tragen noch die Sonnenwärme des Tages in sich. Mein Blick wandert hinauf zu den beiden Möwen, die ihre Bahnen über unsere Köpfe ziehen. Die Wolken am Himmel haben es eilig. Wo wollen sie denn nur hin? Um uns mit einer Dusche zu überraschen fehlt ihnen wohl die Zeit. Die untergehende Sonne findet wieder eine große Lücke und wärmt mein Gesicht.
An diesem Abend sitzen wir lange vor dem Lagerfeuer. An den Spitzen der Stöcke lassen wir Stockbrote rösten. Es ist bereits tiefe Dämmerung eingetreten. Mein Blick wandert gen Horizont, wo noch der letzte Zauber eines Lichtes zu erahnen ist. Alles ist friedlich um uns herum. Ich glaube dies schon fast alles nur zu träumen. Wir sitzen noch lange hier draußen und genießen die Stille. Zuhause hatten wir schon fast vergessen, dass es sie wirklich gibt.
Irgendwann schlüpfen wir in unser Zelt. Der Eingang ist nach Osten ausgerichtet, sodass wir von der Morgensonne im Gesicht geweckt werden können. Eingekuschelt in die Schlafsäcke ist´s gemütlich warm.
Die Möwen kreisen noch immer ihre Bahnen über die Insel. Der Wind pfeift leise durch die obersten Baumkronen. Die Sterne funkeln über unseren Köpfen. Das Wasser spült gleichmäßig in Wellen ans Ufer, welches uns in nur einem Meter Entfernung zu Füßen liegt.
Ich schließe die Augen und höre dem Rauschen der Wellen zu. Ab und an knistert und knackt es im Unterholz hinter unserem Zelt, dort wo der kleine Wald beginnt. Ob dort vielleicht gerade eine Elchfamilie unterwegs ist? Quatsch, wir sind hier auf einer kleinen Insel! Können Elche schwimmen? Über diesen Gedanken und im Gleichklang des Wellengesanges schlafe ich langsam ein und freue mich schon auf die morgige Etappe, wo auch immer sie uns hinführen mag.

Fazit
Über zwei verwunschene Seen führt uns die Kanutour durch die unberührte Natur Schwedens. An jedem Tag an einem neuen, unbekannten Ort einzuschlafen und am Morgen von der Sonne geweckt zu werden, nichts ahnend, was einen heute erwarten wird, bietet uns die Freiheit in den Tag hinein zu leben und im Hier und Jetzt zu verweilen.
Den Körper bis zur Erschöpfung auszupowern, ihn mit kleinen Pausen und Nahrung wieder zu kräftigen. Selbstgepflückte Beeren, selbstgesammelte Pilze am selbstentzündeten Lagerfeuer – das alles erdet dich und macht das Genießen vollkommen. Mit den Sternen ins Bett zu gehen und am nächsten Morgen mit der Sonne wieder aufzustehen - barfuss über Stock und Stein durch die Natur zu streifen – ein vollkommenes Naturerleben, was dich sogleich im Hier und Jetzt verankern und mit allen Sinnen wahrnehmen lässt.
Ja, hier in Glaskogen ist es wirklich noch möglich, die Welt um sich herum zu vergessen. Sich in Einsamkeit zu wiegen und eins mit der Natur zu werden. Wir träumten von einsamer Wildnis, von Lagerfeuerabenden und von versteckten Blaubeeren im roten Heidekraut, lauen Sommerabendenden, baden im See und einsamen Inseln.
Dieser Traum wird hier gelebt!

Geschrieben im Oktober 2016, Tobias R.

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